Die Schrecken des Krieges

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Die Schrecken des Krieges

Neben anderen Faktoren macht der heraufziehende finanzielle Zusammenbruch des
Herrscherhauses diese Veränderungen klar zunichte. Der aufgeklärte Despotismus
geht unter, da es an königlicher Willenskraft und Aufklärern mangelt. Karl IV.,
ein gutmütiger Monarch, sowohl vom Aussehen als auch vom Charakter her an seinen
entfernt verwandten Vetter Ludwig XVI. erinnernd, sichert den kometenhaften
Aufstieg von Manuel Godoy, einem Vertreter des niederen Adels aus der Extremadura.
Aber dieser gutaussehende Jüngling, geehrt durch die Gunst der Königin Marie-Luise,
wird den Krieg auch nicht vermeiden können - zuerst gegen das revolutionäre
Frankreich, dann gegen das imperialistische England. Ein doppelter Fehler, der
noch ungefestigte Kräfte verschleißen läßt. Nach der Schlacht von Trafalgar
führt der Stillstand im atlantischen Handel die amerikanischen Kolonien auf
den Weg in die Unabhängigkeit. Die Herrschaft gerät ins Wanken und die Ehre
des Monarchen ist angekratzt: der Hofmaler Goya hat Porträts der königlichen
Familie hinterlassen, auf denen der Pinsel wie ein Skalpell die anstößige Mittelmäßigkeit
seziert. Schlaffe Gesichter, engstirnige Blicke, alles ist damit gesagt. Bei
dieser von Rachsucht zerfressenen Schlangenbrut rufen die - von der konservativsten
Sippe unterstützten - Intrigen des Prinzen von Asturien, Ferdinand, den Aufruhr
von Aranjuez hervor. Godoys Fall, gefolgt von der Abdankung des Königs, scheinen
das Zepter in dessen Hände zu legen. Aber das hieße, die Rechnung ohne Napoleon
zu machen, der in Bayonne Vater und Sohn einen doppelten Amtsverzicht zugunsten
seines Bruders Joseph Bonaparte aufzwingt. Dieser jämmerlichen Posse steht das
verrückte Heldentum der Madrilenen gegenüber, die sich unbewaffnet den französischen
Truppen zum Kampf entgegenwerfen und so am 2. Mai 1808 die Ehre retten. Aber
der Preis ist die Bestrafung am 3. Mai, die Goya zu seiner gewaltigen Vision
inspiriert: die weiße Silhouette der Patrioten: mit erhobenem Arm, von einer
Laterne angestrahlt, während das graue, in einer Reihe angetretene Erschießungskommando
mechanisch das Gewehr anlegt.

Von 1808 bis 1813 ist Spanien völlig zerrissen. Der Unabhängigkeitskrieg macht
dem Eindringling Joseph die Herrschaft über sein Königreich streitig. Neben
den englischen Truppen unter Wellington und den Berufssoldaten entstehen bewaffnete
Gruppen, aufgestellt von spontan gewählten Führern. Ein gefestigteres Spanien
löst spontan den im Zusammmenbruch begriffenen Staat ab. Aber bei diesem Krieg
handelt es sich auch um einen Bürgerkrieg, und zwar um den ersten. Der Klerus
stellt sich zwar geschlossen gegen das gottlose Frankreich, die aufgeklärten
Eliten aber spalten sich: ein Teil beginnt die Führung des Widerstands gegen
den Besatzer zu übernehmen, um das Ancien Régime abzuschaffen; diese Gruppe
ist es auch, die den Ton bei den auf der Halbinsel Cádiz versammelten konstituierenden
Cortes angibt. Für andere wiederum, die afrancesados, »Kollaborateure«, für
die Frankreich die Mutter der Revolution bleibt, wird die Modernisierung Spaniens
das Werk von Joseph Bonaparte sein. Goya erlebt am eigenen Körper und im eigenen
Geist dieses Drama der Intellektuellen: bedeutet, den Franzosen Widerstand zu
leisten, nicht, sich auf Seiten der Inquisitoren und der verhaßten Mönche wiederzufinden?
Aber konnte man andererseits Komplize der französischen Besatzung werden, der
schamlosen Plündereien und der Desastres de la Guerra - Titel der Radierfolgen,
zu denen diese Tragödie den gequälten Goya inspirierte?