Das Jahrhundert der Aufklärung

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Das Jahrhundert der Aufklärung

Das ganze 18. Jh. hindurch scheint Spanien Europa wieder einzuholen und regeneriert
seine krisengeschüttelten Kräfte: die Bevölkerung wächst an, die Brachen werden
wieder bearbeitet, der Handel mit Amerika blüht und Katalonien ist im Aufschwung
begriffen. Die Bourbonendynastie - d.h. Philipp V. und seine Söhne Ferdinand
VI. und Karl III. - unterstützt mit ihrem Vertrauen die von mehreren Generationen
von Staatsbeamten in Angriff genommene Neugestaltung des Staates. Auf diese
Weise kristallisiert sich ein aufgeklärtes Spanien heraus. Zunächst vorsichtig,
später - im letzten Drittel des Jahrhunderts - dann schon beherzter, als der
Graf von Aranda, ein Freund Voltaires, Präsident des Rates von Kastilien wird.
Eine neue politische Klasse, um das Wohl der Öffentlichkeit, um wirtschaftlichen
Fortschritt und um die Autorität des Staates bemüht, bildet eine Herausforderung
für die traditionellen, in die Defensive getriebenen Kräfte: die Inquisition
verurteilt zwar die vom philosophischen Geist angehauchten Bücher, kann aber
nichts gegen den regen Schmuggel unternehmen; sie schikaniert und verhaftet
einige Verwegene, zündet aber keine Scheiterhaufen mehr an. Mit der zögerlichen
Ausweisung der Jesuiten aus Spanien wird die Absicht der Krone deutlich, die
Allmächtigkeit der Kirche einzuschränken. Ein Großteil des Adels paßt sich dem
europäischen Geschmack an und hält sich italienische Musiker und französische
Perückenmacher. Ein kosmopolitisches Bürgertum macht sich in Cádiz eifrig zu
schaffen. Von nun an für äußerliche Einflüsse empfänglich, wirkte Spanien nie
weniger spanisch: nirgendwo fühlt sich der ausländische Besucher weniger fremd
als in La Granja oder in Aranjuez.

Aus Aragonien kommt - auf der Suche nach Aufträgen - ein Maler namens Francisco
Goya y Lucientes nach Madrid. Er wird dort zum scharfen Beobachter dieses Zeitalters
der Lebensfreude. Seine Entwürfe zu Wandteppichen (Teppichkartons) zeigen die
hundert verschiedenen Gesichter eines wieder mit dem Leben versöhnten Spaniens.
Das Fest der Weinlese, der Ernte folgend, legt Zeugnis ab vom wiedererlangten
bäuerlichen Überfluß. Die Vergnügen der Aristokratie vermischen sich mit den
Freuden des Volkes: die Kutsche hält an, damit die Passagiere einen Schluck
aus der Flasche nehmen oder die von Hausierern feilgebotenen Waren anschauen
können; die großen Herren erniedrigen sich, indem sie das Kostüm der majos übernehmen,
dieser von schlechten Taten lebenden Nichtsnutze. Die Herzoginnen verkleiden
sich als majas mit leichten Sitten und mischen sich dann ins Gewühl der Tanzenden
... »Ya es hora«: es ist Zeit aufzuwachen - diese Legende, auf einer der Radierungen
der Caprichos zu sehen, möchte die zu spät gekommenen Wächter einer vergangenen
Ordnung aus dem Schlaf reißen. Aufwachen oder träumen, dass man aufwacht?