Nationalbewußtsein

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Nationalbewußtsein

Den Hellenen war schon in frühester Zeit bewußt, einer homogenen Gruppe, einer
kulturellen Gemeinschaft anzugehören. Dieser Zement heutzutage gäbe man ihm
wohl den Namen »Nationalbewußtsein« erlaubte es ihnen, allen schicksalshaften
Schlägen der Geschichte wirksam zu trotzen. So etwa zu Beginn des klassischen
Zeitalters (5. bis 4. Jahrhundert v.Chr.), als die griechische Welt den anrennenden
Persern erfolgreich die Stirn bot und ebenso strahlende wie entscheidende Siege
verbuchte (490 in Marathon(1); 480 in Salamis und den Thermopylen; 479 in Platäa)
gegen eine Unzahl bis zu den Zähnen bewaffneter Krieger des Darius und des Xerxes.

Die Folgen dieser triumphalen Siege zum Preis unzähliger Menschenleben die
Athener waren gezwungen, ihre von den Persern bis auf die Grundmauern zerstörte
Stadt aufzugeben und mußten mitansehen, wie ihre Weizenfelder und Olivenhaine
in Flammen aufgingen sind zahlreich. So erlangten die meisten griechischen Städte
Kleinasiens nach mehreren Jahren persischer Besetzung wieder die Freiheit, blühten
auf und entwickelten das, was später einmal die »ionische Kultur« genannt werden
sollte. Noch ganz im Rausch dieser Siege verlieh das attische Volk seinerseits
der zwei Jahrhunderte zuvor geborenen demokratischen Bewegung mit den Reformen
des Gesetzgebers Solon neue Schubkraft. An deren Ende stand die Entfaltung der
attischen Demokratie und das spektakuläre Aufblühen der Künste und Wissenschaften
unter der treibenden Kraft des Perikles.

Geh mir aus der Sonne!

Aber die Barbaren liegen auf der Lauer.

So weist Demosthenes etwa auf die Makedonier und ihren König Philipp II. hin,
der in der Mitte des vierten vorchristlichen Jahrhunderts die Einheit Griechenlands
mit Waffengewalt erzwingt. Indes, der berühmte athenische Redner scheint zu
übersehen, dass Philipps junger Sohn Alexander damit beschäftigt ist, seine Bildung
bei einem Hauslehrer namens Aristoteles zu vervollkommnen. Der zwingt seinen
Zögling, ganze Rhapsodien der Ilias und Odyssee zu pauken, die Tragödien des
Aischylos, Sophokles und Euripides auswendig zu lernen und, als Strafe, einige
Seiten von Platon, Lysias und Isokrates abzuschreiben. Komische Barbaren, die
von solchen Meistern erzogen werden, und seltsame Eroberer, die schon im voraus
von der Kultur jenes Landes eingenommen waren, die sie zu erstürmen trachten!

Von daher ist das Verhalten des Diogenes gegenüber Alexander dem Großen besser
zu verstehen, als dieser ihm einen Gefallen erweisen möchte: »Geh mir aus der
Sonne!« quittierte der Philosoph das Ansinnen des Königs.

Die zeitlose Antwort jeder hochstehenden Kultur an die Adresse roher Kräfte.