Befreite unter Aufsicht

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Befreite unter Aufsicht

Die Erhebung von langer Hand und mit großer Sorgfalt in der griechischen Diaspora
vorbereitet und zu Beginn nachhaltig beeinflußt vom Geist der Französischen
Revolution griechische Intellektuelle wurden von Metternichs Polizei gnadenlos
durch ganz Europa verfolgt sollte bald nicht nur dem Osmanischen Reich gefährlich
werden sondern auch den europäischen Großmächten: müssen diese doch befürchten,
dass die Errichtung eines republikanischen Staatswesens durch die Griechen den
anderen Balkanvölkern noch unter dem Joch der Hohen Pforte (Istanbul) ein schlechtes
Beispiel abgeben könnte. Die feindliche Haltung Europas gegenüber eines wirklich
freien Griechenlands, das sich nicht als treuer Befehlsempfänger seiner »großen
Brüder« im Westen versteht, existiert nicht erst seit gestern.

Unfähig, den Marsch Griechenlands in die Unabhängigkeit aufzuhalten, beschließen
die Großmächte, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des jungen
griechischen Staates zu kontrollieren damals erstreckte sich das Staatsgebiet
in der Hauptsache auf die armen Gebirgsregionen mit nur 600.000 Einwohnern.
1832 wird auf Betreiben der Schutzmächte ein gewisser Otto von Wittelsbach,
ein junger Bayer von eher stumpfem Geist, Sohn König Ludwigs I. von Bayern,
zum König gewählt. So gelingt es den konservativen europäischen Mächten, mittels
einer autoritären, ihren Interessen völlig untergeordneten, Monarchie die revolutionäre
griechische Bewegung auf ihre Seite zu ziehen und Griechenland in ihrem Kielwasser
zu behalten.

Nach diesem kurzen »bayerischen« Intermezzo, gekennzeichnet durch einen unverhüllten
Despotismus, der vom Hof Ottos I. und von der Armee ausgeht, tauscht Griechenland
die germanorussische Einflußsphäre gegen die britische. Hauptwerkzeug dieser
neuen Politik sollte Prinz Wilhelm von Dänemark werden, als Georg I. von Griechenland.
Er nimmt den Thron Ottos ein, 1862 zur Abdankung gezwungen. Seinen Platz als
Satellit Großbritanniens sollte das Land erst ein dreiviertel Jahrhundert später
gegen die amerikanische »Protektion« eintauschen. Zuvor jedoch galt es, einige
der größten Erschütterungen im Laufe der griechischen Geschichte hinzunehmen
und harte Jahre zu überstehen, deren Nachwirkungen bis in die heutige Zeit spürbar
sind.

Als Folge des russischtürkischen Krieges (18771878) tritt die Türkei Thessalien
an Griechenland ab; der griechischtürkische Konflikt 1897 indes macht diesen
territorialen Zugewinn wieder zunichte: die nördliche Landesgrenze kommt nicht
über Lamia, im Süden Thessaliens, hinaus. Das nationale Trauma sitzt tief, die
wirtschaftliche Lage ist katastrophal: Hungersnöte dezimieren wiederholt die
Bevölkerung. Wer nicht der Malaria, dem Typhus oder der Tuberkulose zum Opfer
fällt, schlägt den Weg ins Exil ein. Es beginnt der Aderlaß der Auswanderung,
welcher erst in den Jahren 1975 bis 1980 zum Stillstand kommen sollte.

Die Kriege 19121913 bescheren Griechenland Ostmakedonien und den Epirus. Nach
einem neuerlichen griechischtürkischen Krieg flüchten 1922 über eine Million
Griechen, aus ihrer Heimat Kleinasien vertrieben, nach Griechenland. Als Besitz
bringen sie nur die Kleider mit, die sie am Leibe tragen, was die wirtschaftliche
Lage des Landes noch verschärft.

Von da an sollte die Auswanderung die Ausmaße einer nationalen Geißel annehmen:
die Aktivsten verlassen genau in dem Augenblick das Land, da sie am nötigsten
gebraucht werden. Darunter sollte Griechenland noch sehr lange zu leiden haben.
Bis in die achtziger Jahre hinein sollte es dauern, bis sich die Lage allmahlich
stabilisierte. Dann sackte die Zahl jener Griechen ab, die alljährlich ihre
Koffer schnürten und den Weg in Ausland antraten.