Lamaismus

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Reinkarnationstheorie

Tod und Wiedergeburt einer Religion

Der Lamaismus stützt sich auf die Behauptung, jeder Mensch lebe viele Leben auf Erden. Gehe es einem Menschen schlecht, so habe er das durch sein früheres sündhaftes Leben selbst verschuldet. Der Lamaismus erzieht seine Anhänger zur Beschaulichkeit, zur Verachtung der Leidenschaften und der Begehrlichkeit.

Wesensmerkmale des Lamaismus waren: der Glaube an »mantras« (mystische Silben); die Schaffung von »mudras« (heiliger Kunst); geheime Initiationsriten; das System der Lamas (lebender Buddhas) als Reinkarnationen hochentwickelter Wesen, die auf der Erde bleiben und andere Menschen retten; und die Oberhoheit des Dalai Lama. Auch Exorzismus, Wunderheilungen, Astrologie und der Kampf mit Dämonen gehören dazu.

Auch der Lamaismus spaltete sich bald in zwei unterschiedliche Schulen: die Rotmützen-Lamas und die Gelbmützen-Lamas. »Rotmützen« dürfen zum Beispiel heiraten, während das »Gelbmützen« verwehrt ist.

Lamaismus in der Mongolei

Die ersten Kontakte der Mongolen mit dem Buddhismus gehen auf das beginnende 13. Jh. zurück, nachdem sich 1207 tibetische Adlige und Äbte Dschingis Khan unterworfen hatten. 1249 zwingt Prinz Göden, ein Sohn des Großkhans Ögödai, die Tibeter, die mongolische Oberhoheit anzuerkennen. Gleichzeitig stellt er sich unter den geistlichen Schutz des Abtes Sakya Pandita Künga Gyältsen. Damit wird das »Kaiser-Papst-Verhältnis« zwischen Mongolen und Tibetern begründet. Das 1073 gegründete Kloster Sakya wird zum kirchlichen und weltlichen Zentrum Tibets. Ab 1247 erfolgt die Missionierung der Mongolen durch Sakya Pandita Künga Gyältsen. Nach dem Tode Prinz Gödens und Sakya Panditas erneuern Fürst Kubilai und Sakya Panditas Neffe Pagpa Lodrö Gyältsen das »Kaiser-Papst-Bündnis«. 1260 wird Pagpa vom zum Herrscher aller Mongolen gewählten Kubilai Khan zum Vizekönig über Tibet ernannt.

Doch erst im 16. Jh. kann der Buddhismus in der Form des Gelbmützen-Lamaismus in der Mongolei Fuß fassen. Als der mongolische Herrscher Altan Khan (1507-83) tibetische Mönche als Missionare in sein Land holte, bekämpften diese zunächst die alte Naturreligion mit ihren Riten und Gebräuchen. Dann aber gingen sie zu einer neuen Taktik über und versuchten, die alte Religion mit ihrer Lehre zu verschmelzen. Das erste buddhistische Kloster, Erdene Zuu Hiid (Harhorin) wurde im Jahre 1586 in der Mongolei gegründet. Die Lehre der Lamas wurde dann für alle Mongolen als verbindlich erklärt. Seit dieser Zeit bilden Tibeter und Mongolen eine Religionsgemeinschaft.

Dalai Lama und Pantschen Lama

Sonam Gyatso (1543-1588), der tibetische Großlama und Sektenoberhaupt der Gelugpa (»die Tugendhaften« oder »Gelbmützen«) begann die zweite, endgültige Bekehrung der Mongolen zum Buddhismus. Dafür erhielt er von Altan Khan 1578 den mongolischen Titel Dalai Lama (»Weltmeer-Lehrer«). Sonam Gyatso wird heute als dritter Dalai Lama verehrt; seine beiden Vorgänger erhielten den Titel posthum verliehen. Er gilt als Lehrer über eine Menschenmenge, die in der Ausdehnung dem Meer entspricht. Stirbt der Dalai Lama, wird ein Knabe, der in diesem Augenblick irgendwo in Tibet geboren wird, sein Nachfolger – weil die unsterbliche Seele des Dalai-Lama sich im Moment des leiblichen Todes einen neuen Körper gesucht hat (Reinkarnation).

Zwischen 1565 und 1642 herrschten in Tibet die Könige von Tsang, die sich mit den Karmapa, den Rivalen der »Gelbmützen«, verbündeten. 1642 besiegte der Mongolen-Herrscher Guschri Khan den Tsang-König und eroberte Lhasa. Er ernannte den fünften Dalai Lama zum geistlichen und weltlichen Oberhaupt Tibets. Damit begann in Tibet die Theokratie, in der die Gelugpa-Sekte Staatskiche wurde und die eigentliche Macht ausübte. Der Lehrer des fünften Dalai Lama, der Lama IV. Tschögyi Gyältsen (1569-1662) erhielt von diesem aus Anerkennung seiner Verdienste 1642 als erster den Titel Pantschen Lama (»großes Lehrerjuwel«). Fortan gilt der Pantschen Lama als geistlicher Stellvertreter des Dalai Lama.

Die Verbindungen zwischen Tibet und der Mongolei blieben bis in unsere Tage sehr eng. So floh der dreizehnte Dalai Lama, Tubten Gyatso (1876-1933), nach der britischen Invasion Tibets im Jahre 1904 in die Mongolei und kehrte erst 1909 nach Lhasa zurück.

Der jetzige, vierzehnte Dalai Lama wurde am 6. Juli 1935 in der tibetischen Provinz Ambo geboren. Er floh 1959 vor den Chinesen aus Tibet nach Indien, wo er in Dharamsala eine Exil-Regierung für Tibet leitet. Im September 1991 konnte er erstmals seine Gläubigen in Ulaan Baatar besuchen. Zehntausende drängten sich im Stadion der Hauptstadt und versuchten, ihr religiöses Oberhaupt zu berühren.

Niedergang des Lamaismus

Die Klöster der Lamas bildeten einst die einzigen geistigen und kulturellen Zentren des Landes. Ihre Schüler wurden gründlich in die tibetische Schriftsprache eingeführt und konnten sich dem Studium der Philosophie, der Medizin oder einer anderen Klosterdisziplin widmen. Es war ihnen auch freigestellt, wieder in die Steppe zurückzukehren. Hatte ein Novize sich für letzteres entscheiden, so blieb er auch als Nomade ein Lama. Er unterschied sich von den weltlichen Viehzüchtern durch seine Kleidung. Er durfte heiraten (allerdings ohne Zeremonien), indem der die Frau schlicht zu seiner Jurte führte und sie sich in die häuslichen Pflichten schickte. Die Kinder dieser Ehen erhielten nicht den Namen des Vaters, sondern den der Mutter.

Unter den Geschenken, welche die Eltern des Klosterschülers den Lehrern bei dessen Eintritt ins Kloster überreichten, sei besonders der »chadak« erwähnt. Dieser hellblaue Seidenschal mit aufgestickten Glückssymbolen wird auch heute noch hochgeschätzten Gästen geschenkt.

Die Zahl der Klöster und Mönche nahm seit dem 17. Jh. in der Mongolei ständig zu. Im Jahre 1918 gab es bereits etwa 100.000 Mönche und Novizen; das entsprach einem Sechstel der Bevölkerung. Von diesen Mönchen lebte allerdings nur ein kleiner Teil in den weit über 700 Klöstern. Der andere Teil zog im Lande umher und fiel den Araten zur Last, die die Lamas unentgeltlich aufnehmen und unterhalten mußten. Es kam auch vor, dass Frauen Lamas wurden; die meisten im fortgeschritteneren Alter von etwa 40 Jahren, teilweise aber auch wesentlich jüngere. Sie lebten abseits des Klosterbezirkes und durften keine Beziehungen zu Männern unterhalten.

Jeder zweite Sohn der eigentlich nicht kinderreichen Familien wurde ins Kloster geschickt, bis schließlich ein zu großer Teil der Bevölkerung innerhalb von Klostermauern lebte. Dazu kam, dass sich in den Klöstern ein Großteil des Reichtums einer Nation anhäufte, die durch Krankheiten und besonders große Kindersterblichkeit ohnehin geschwächt war. Deshalb war eine der ersten Maßnahme der Revolutionäre 1921, die mongolische Kirche ihrer Privilegien zu entheben. Kirche und Klerus wurden enteignet, dem Einfluß des Dalai Lama entzogen und verselbständigt. Damit begann der langsame Niedergang des Lamaismus, der bis Ende der zwanziger Jahre die Gesellschaft entscheidend prägte.

Verfolgung

Obwohl die Verfassung der Volksrepublik die Glaubensfreiheit garantierte, wurde der Lamaismus aus dem öffentlichen Leben nach und nach fast vollständig verdrängt. Die neuen Machthaber versuchten, ihn mit Stumpf und Stiel auszurotten. 1924, nach dem Tode des religösen und weltlichen Führers Bogd Khan, verhinderte die kommunistische Regierung die Wahl eines Nachfolgers. Ab 1929 wurden Besitz und Herden der Klöster enteignet, ab 1932 Mönche festgenommen und hingerichtet. Als sich die Gläubigen dagegen zur Wehr setzten, ging man zu trickreicheren Methoden über: junge Mönche wurden zum Wehrdienst eingezogen, der Bau neuer Klöster verboten.

1937 begann dann die Vernichtung des Buddhismus in der Mongolei. Tschoibalsans Geheimpolizei überfiel die Klöster und nahm alle Mönchen (außer den jüngsten) fest. Von den 1921 vorhandenen 769 Klöstern wurden vier zu Museen umgestaltet und alle anderen zerstört. Die meisten der rund 110.000 Mönche (1921) wurden nach Sibirien oder in Konzentrationslager verschleppt, aus denen sie niemals wiederkehrten. Alleine für die Jahre 1937/38 gehen Schätzungen von über 17.000 ermordeten Mönchen aus. Zehntausende wurden !! hier fehlt was!!. Außer in Gandan Hiid in Ulaan Baatar, das als »Schaukloster« für ausländische Besucher diente, waren alle religiösen Zeremonien bis 1990 verboten.

Wiedergeburt

Nach der friedlichen Wende in der Mongolei erlebt der Lamaismus eine Wiedergeburt. Zahlreiche Klöster werden wieder aufgebaut, Tempel restauriert, und in Ulaan Baatar gibt es bereits die erste lamaistische Grundschule. 1996 zählte man wieder mehrere tausend Mönche.