Blick auf London

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Blick auf London

Von einem kleinen Haus in Southwark aus verfolgte Christopher Wren Ende des
17. Jahrhunderts besorgt die Fortschritte des Baus der Kathedrale St. Paul.
Selbstverständlich konnte er damals nicht den Klang ihrer Glocken hören, die
heute in ganz England berühmt sind, vor allem wegen des Change Ringing: dazu
versammeln sich jeden Sonntagmorgen und an besonderen Feiertagen - königlichen
Hochzeiten, Nationalbegräbnissen usw. - zwölf Männer, um die Glocken von St.
Paul zu läuten. Zu Beginn der Vorstellung erklingt die Tonleiter von der höchsten
bis zur tiefsten Note, das sind die Rounds. Nach einigen Minuten beginnt ein
komplexes Change Ringing, indem die Glöckner in jeder Runde die Glocken in unterschiedlicher
Reihenfolge anstoßen. Die Partitur dafür heißt Method, von besonderen Komponisten
entworfen, deren Chef der Conductor ist. Sonntagmorgens um zehn Uhr können die
Londoner in St. Paul einen Peal (Glockenspiel) mit fünfhundert Change Ringings
hören, was soviel heißt, als das jede Glocke fünfhundert Mal erklingt. Nach
dieser halbstündigen Großtat steht die Anstrengung den »Interpreten« deutlich
ins Gesicht geschrieben. Diese Männer, verschieden in Alter und Herkunft, mühen
sich tiefernst mit ihrem Seil ab und führen gleichsam ein schweigsames Ballett
auf, während das Getöse über ihnen markerschütternd ist. In dem Raum erinnern
Gedenktafeln an historische Peals, wovon manche bis zu vier Stunden dauerten.

Ob Sie auf dem Kirchturm von St. Paul stehen oder in Southwark - beobachten
Sie diese Stadt: London stellt ein geordnetes Durcheinander dar; seine Parks
sind ein gebändigter Dschungel; seine Einwohner bewegt gemessene Erregung. Und
denken Sie über die Meinung des guten alten Dr. Johnson nach: »Sie werden keinen
einzigen Mann finden, und sei er noch so dumm, der London verlassen möchte.
Nein, wenn ein Mensch London satt bekommt, dann hat er einfach das Leben satt.
Denn London befriedigt alle Erwartungen.« Zweifellos.