Die Bloomsbury-Gruppe
Die Bloomsbury-Gruppe
Den treffendsten Eindruck von der eigenartigen Stimmung in Bloomsbury vermittelt
Virginia Woolf, selbst Symbol dieser literarischen, künstlerischen und mondänen
Versammlung, die als Bloomsbury Group bekannt wurde und das intellektuelle Leben
in London jahrelang beherrschte:
»Das Erlebnis von Schönheit, mindestens das. Nicht die rohe Schönheit der Augen.
Die reine, die wahrhaftige Schönheit drückt sich nicht darin aus, dass Bedford
Place zum Russell Square führt. Damit sind nur Geradheit, Leere, die Symmetrie
eines Straßenzuges erfaßt. Aber man wird auch erleuchtete Fenster, ein Klavier,
ein spielendes Grammophon, eine verborgene Freude finden, die hie und da aufblitzt,
wenn durch ein Fenster ohne Vorhänge, durch ein offenes Fenster, Tischgesellschaften
sichtbar werden, junge Menschen, die gemächlich auf- und abschlendern, Männer
und Frauen, die sich unterhalten, müßige Hausmädchen, die auf die Straße schauen
(...), zum Trocknen ausgebreitete Strümpfe auf einem Fenstersims, ein Papagei,
Grünpflanzen. (...) Und auf dem großen Platz, wo Taxis eilig hin- und hersausen,
verbummeln Pärchen die Zeit.« (Mrs. Dalloway).
Was ist denn nun eigentlich die Bloomsbury Group? Eine Freundesclique, lauter
Intellektuelle, alle sehr berühmt: der Wirtschaftstheoretiker J. Maynard Keynes,
der Verleger und Schriftsteller Leonard Woolf, Virginia Woolf und ihre Schwester,
die Malerin Vanessa Bell, die Kunstkritiker Quentin Bell und Roger Fry, Lytton
Strachey, der exzentrische Biograph der Viktorianer, und schließlich der Maler
Duncan Grant. Diese kleine Gesellschaft übte in den zwanziger Jahren einen mächtigen
Einfluß auf die englische Intelligenz aus, da jeder einzelne auf seinem Gebiet
mit Unerhörtem und Niedagewesenem zu glänzen verstand. Nicht zuletzt wurden
die Mitglieder der Gruppe wegen der verblüffenden Komplexität ihrer Freund-
und Liebschaften bekannt, die seither eine Fülle von Erinnerungen, Biographien,
Gegen-Biographien und Kontroversen zutage gefördert haben, wobei Zeugen, Historiker
und Erben der »Bloomsbury« erbittert über die wahren Gefühle Rogers für Vanessa,
Duncans für Roger, Maynards ... gegen Virginia usw. streiten. So zahlreich sind
die Bücher über die Bloomsbury Group - und so kleinkariert in der Analyse der
jeweiligen Seelenzustände - dass dieses Thema bereits lächerlich geworden ist.
So versicherte P.G. Woodehouse, dass es schwierig wäre, einen Ziegelstein über
Russell Square zu werfen, ohne einen Autor zu treffen, der sich über diese Fragen
ausgelassen habe. Anthony Burgess kündigte eines Tages an, dass er nun seinerseits
ein Buch über die Bloomsbury Group verfassen werde, und zwar unter dem Gesichtspunkt
der Körpergerüche, der bisher als einziger von den Biographen vernachlässigt
worden sei.
Zu derselben Zeit, als sich die Bloomsbury Group am Fitzroy Square traf, diskutierte
zwei Straßen weiter eine andere und ebenso interessante Intellektuellengruppe
im Salon von Lady Ottoline Morell am Bedford Square. Zusammen mit ihrem Geliebten,
Bertrand Russell, empfing sie dort unter anderem Aldous Huxley, D.H. Lawrence,
E.M. Forster und den Tänzer Nijinski. Eines Morgens, als Ottoline Morell, Russell,
Nijinski und der Dekorateur Bühnenbildner Léon Bakst aus dem Hause traten, erblickten
sie Duncan Grant, der auf Bedford Square mit Freunden Tennis spielte. »Wie er
sich in Szene setzt ...«, grommelte Bakst.
In der 1836 gegründeten Londoner Universität wurde der Kultur eine weitere
Tempelstätte geweiht. Da jüngeren Datums als ihre überlegenen Rivalinnen Cambridge
und Oxford, konnte sie die Karte des Modernismus und Liberalismus ausspielen.
Erinnern wir uns, dass sich in Oxford erst ab 1860 auch Nichtanglikaner einschreiben
durften; und dass Frauen bis 1949 in Cambridge zwar Kurse belegen durften - in
einem besonderen Gebäude - aber nicht zur Prüfung zugelassen wurden. Im Gegensatz
dazu waren die Gründer der Universität zu London entschieden »weltlich« und
öffneten ihre Pforten sogleich den Juden und Katholiken, etwas später auch den
Frauen, nämlich 1878.