Griechenland und die Musik
Griechenland und die Musik
Welche europäischen Länder könnten sich rühmen, über eine lebendige und außerordentlich
rege Volksmusik zu verfügen; über Musiker, die sie seit ihrer Kindheit ausüben;
über Radio- und Fernsehsender, die ihr gegenüber keine verächtliche oder herablassende
Haltung einnehmen? Wo sonst noch singen in Europa die Völker weiter ihre alten
Melodien und vertreten den Standpunkt, lieber auf eine Beerdigung zu gehen als
einem Fest ohne Instrumente oder Volksmusiker beizuwohnen?
Gewiß haben die brutalen Umwälzungen im gesellschaftlichen Kontext, besonders
nach dem Zweiten Weltkrieg, der regionalen Musiktradition schwere Schläge versetzt,
zumal parallel dazu eine ausufernde Verstädterung festliche Riten beträchtlich
verzerrte. Transistorradio, Kassette, Schallplatte und Fernsehen trugen ihrerseits
die angelsächsische Musik in jedes Heim - wenn auch die neu eingeführten Rhythmen
nicht unbedingt dem Musikgefühl der Hörer entsprachen, so trugen sie doch den
»verderblichen Reiz des Modernen« in sich.
Trotz dieser akustischen Invasion war das musikalische Gefüge bis in die siebziger
Jahren praktisch intakt, gab es unzählige Sänger und Instrumentalisten. Noch
heute sind Volksmusiker bei jedem Fest und panighiri (Verkaufsmesse) dabei;
in etlichen Regionen führen sie weiterhin die Hochzeitstänze an, spielen abends
in den Tavernen auf und am späten Sonntagnachmittag auf den Dorfplätzen. An
Ostern, rund um den Osterspieß, werden Tänze wie tsamiko (langsamer, majestätischer
Tanz der Krieger von 1821), der schnelle kalamatianos aus dem südlichen Peloponnes
oder der, besonders auf den Inseln verbreitete, syrtos begleitet vom Klang der
Klarinette, der Geige und der laouto (einer Art Laute); den Rhythmus geben toubeleki
(Schlaginstrumente) oder defi (Tamburin) an. In Thrakien und Makedonien beherrschen
gaïda (Dudelsack), zourna (eine Art Oboe) oder floghera (Hirtenflöte) das musikalische
Festgeschehen.
In der Stadt unterstützen in den zwanziger Jahren bouzouki-Klänge Gesang und
Tänze der rebetes, marginaler Bevölkerungsschichten im Umkreis der städtischen
Agglomerationen. Vor ihrem Verschwinden prägten sie der gesamten griechischen
Volksmusik ihre Melodien und Rhythmen wie einen Stempel auf. Jetzt, da der rebetiko
in seiner Funktion als musikalischer Ausdrucksform eines fest umrissenen sozialen
Milieus von der Bildfläche verschwunden ist, ist sein Überleben dem Einsatz
zeitgenössischer Gruppen zu verdanken. Sie treten in Tavernen auf, nehmen Schallplatten
auf oder geben Konzerte vor Tausenden von Zuhörern.