Das Parlament
Das Parlament
Das Parlament, wie auch die Justiz, hält verbissen an den Ritualen und Hierarchien
fest, die auch andere männliche Institutionen wie die Internate, die »guten«
Universitäten (Cambridge und Oxford) und die Clubs kennzeichnen. So besitzt
das Parlament eine eigene Bibliothek, Statuen von seinen verdientesten Old Boys,
eine Sporthalle, eine Kapelle und sogar eine Matron (Krankenschwester), deren
Anwesenheit gleichzeitig etwas Mütterliches und Erschrekkendes an sich hat.
Tatsächlich funktioniert das Parlament wie ein Pensionat. Die regierenden Kabinettminister
und die Mitglieder des Shadow Cabinet (der Opposition) dürfen als die wichtigsten
Persönlichkeiten auf den vordersten Bänken sitzen und heißen deshalb Frontbenchers.
Hinter ihnen drängen sich die Abgeordneten ohne Auszeichnung, die Backbenchers.
Diese müssen nach ihrer Antrittsrede, der Maiden Speech (Jungfernrede) mehrere
Jahre lang im »Schatten« verbringen, bis der Ministerpräsident oder der Oppositionsführer
ihnen seine Gnade zuteil werden läßt und sie ins Licht der Vorderbank rückt.
Den Whips (Einpeitscher) kommt es als den »Älteren« zu, die Neuen während ihrer
Lehrzeit in die fremden Lokalbräuche einzuweihen - und sie zu striezen. Ihre
offizielle Aufgabe besteht darin, ihre Parlamentsgruppe zu führen, die Anwesenheit
von Abgeordneten und Lords zu überwachen und sie vor allem auf parteikonformes
Abstimmen zu verpflichten. Ihr Chef, der Chief Whip einer jeden Partei, spielt
eine Hauptrolle in den Beziehungen zwischen der Exekutive und der Opposition
auf der einen Seite und den Parlamentariern auf der anderen. Freilich müssen
die Whips ein wenig Fingerspitzengefühl zur Herstellung des Gleichklangs beweisen,
weil sie sonst leicht den Kontakt zur Basis verlieren. Aus diesem Grund werden
lediglich die wichtigen Abstimmungen von einer Three-Line Whip begleitet, also
einer dreimal unterstrichenen Anweisung, über die sich keiner hinwegsetzen darf.
Das mit einer Two-line oder One-line Whip empfohlene Wahlverhalten läßt Abweichungen
für Dissidenten und Exzentriker zu. Von einem etwaigen Fernbleiben wird streng
abgeraten, da nicht per Vollmacht abgestimmt werden kann. Wer nicht teilnehmen
kann, muß sich mit einem Kollegen aus der Opposition (einem Gleichwertigen oder
Pair) verständigen, damit dieser aus Zartgefühl ebenfalls abwesend bleibt -
ein Zuvorkommen, das bei späterer Gelegenheit natürlich erwidert wird.
Jede Sitzung im Unterhaus wird mit einer feierlichen Prozession eröffnet. Vorneweg
schreitet der für die Ordnung im Parlament verantwortliche Sergeant at arms,
der die goldenen Wappen als Symbol der Autorität des Parlaments trägt. Dahinter
kommt der Speaker (Präsident des Unterhauses) mit Perücke und einer langen Robe,
deren Schleppe von einem Assistenten gehalten wird. Er wird vom Kaplan gefolgt,
der das Gebet leitet, und einem Sekretär. Nun erst kann das Unterhaus zur Fragestunde
und zur Debatte über Gesetzesvorhaben übergehen.
Die mündlichen Fragen sind oft äußerst bösartig, wenn es darum geht, die Minister
in eine Falle zu locken, sie in die Enge zu treiben, damit sie entweder mehr
zusichern als sie eigentlich wollen oder aber sich selbst oder ihren Kollegen
widersprechen. Überdies werden sie stets in der letzten Minute verändert, um
vorgefertigte Antworten zu vermeiden. Jeffrey Archer, der dauernde Freund und
zeitweilige Berater - zwischen zwei Skandalen - von Margaret Thatcher, beschreibt
das Vorgehen wie folgt: »Alle Mitglieder des Parlaments teilen ihre Fragen dem
Minister vorab in harmloser Form mit, etwa: »Wann will der Minister nach Aberdeen
reisen?«. Darauf meint der Betroffene, er könne unverbindlich antworten, dass
er das nicht wisse oder keine derartige Reise in nächster Zukunft plane. In
der Sitzung jedoch fragt der Abgeordnete getreu der Regel, das Thema der Frage
nicht zu ändern: »Ist der Minister davon unterrichtet, dass Aberdeen die größte
Arbeitslosigkeit in Europa hat, und kann er Lösungsvorschläge anbieten?« Der
arme Minister muß dann auf der Stelle eine befriedigende Antwort hervorzaubern.
Aus diesem Grund sind seine Berater am Vortag damit beschäftigt, den Text der
Fragen sorgfältig auf versteckte Fallen abzuklopfen.«
Kein Wunder, dass die Minister schriftliche Fragen vorziehen, denn hier lassen
ihnen die parlamentarischen Spielregeln zwei Vorwände zum Ausweichen. Erstens:
Die Regierung kann nicht für das Handeln früherer Regierungen verantwortlich
gemacht oder auch nur zur Auskunft gezwungen werden. Zweitens: Die zur Beantwortung
einer Frage notwendigen Nachforschungen dürfen das Ministerium nicht mehr als
zweihundert Pfund kosten ...