Frauen in Trauerkleidung

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Frauen in Trauerkleidung

Man sieht sie allerorten, in der Stadt wie auf dem Land. Sämtliche Altersgruppen
sind vertreten, alle gesellschaftlichen Schichten. Sie tragen Trauer wegen ihres
Ehemanns, ihrer Kinder, eines Verwandten, eines Bruders oder einer Schwester.
Am Tag des psychosavato (Totensamstag) zünden sie die Öllampen vor den Ikonen
an, bevor sie die kolyva, Kuchen aus mit Zucker, Petersilie und Zimt untermischtem
Kochweizen, zubereiten. Diese werden zum Segnen mit in die Kirche genommen und
am Ende des Gottesdienstes an alle Anwesenden verteilt, an Verwandte und Nachbarn.
Während diese sie verspeisen, beten sie für den Seelenfrieden der Toten in der
Familie.

Diese schwarz gekleideten Frauen, Hüterinnen des ehrenden Gedenkens an die
Verstorbenen, sorgen so für enge Bande zwischen den einzelnen Gemeindemitgliedern
und gewährleisten den Zusammenhalt zwischen der Welt der Seelen und den Diesseitigen,
gleichsam als Botschafterinnen der Vorfahren. Touristen, die ihrer überall gewärtig
werden, neigen oftmals zu vorschnellen Schlüssen: übertriebener Trauerzwang
(die schwarze Kluft kann jahrelang getragen werden), Unterdrückung der Frau
durch eine archaisch geprägte Gesellschaft.

Nichts von alledem ist richtig.

Im Gegensatz zum überwiegenden Teil der westlichen Völker haben es die Griechen
noch nicht gelernt, ihre Gefühle hinter Masken zu verstecken, den Tod zu schminken,
Krankheit oder Behinderung zu verstecken und Alte in Heime abzuschieben. Die
Trauer tragende Frau (Männer lassen ihren Bart wachsen oder tragen einen Trauerflor
rund um den Ärmel) dokumentiert furchtlos, dass der Tod an ihre Tür geklopft
hat, dass das Unglück sie von allen anderen abhebt.

Es versteht sich von selbst, dass die alten Frauen dieser Tradition verbundener
sind als die jungen. Wie andernorts ändern sich auch in Griechenland die Dinge,
hat sich eine Konsumgesellschaft herausgebildet, die uniformisiert und Unterschiede
abbaut. Ob die schwarz gekleideten Frauen, gleich letzten Hindernissen auf dem
Weg zu standardisierten Bräuchen, die letzten wirklich freien Frauen Griechenlands
sind?